Günter Sehrbrock

Günter Sehrbrock

Vita

DER AUTOR Weiß einen Lebensweg mit vielen Stationen hinter sich. Geboren 1925 wuchs er in Münster-Mecklenbeck auf und besuchte nach einer Maurerlehre – auch sein Vater war Handwerker – die Staatsbauschule, um Hochbau zu studieren. Im August 1943 bedeutete der Einzug zur Ostfront den ersten Bruch in seiner Biographie. Bis zum Kriegsende war er Soldat, worauf er 4 Jahre und 4 Monate in russischer Gefangenschaft im Moskauer Kohlebecken im Bergbau arbeiten musste. Erst 1949 konnte er an den unterbrochenen Lebensentwurf wieder anknüpfen. Die Wirtschaftswunderjahre führten ihn vom Staatshochbauamt Münster zu verschiedenen leitenden Positionen im Baugewerbe in ganz Deutschland. Ab 1978 begann mit der denkmalgerechten Rekonstruktion von Burganlagen ein weiteres Kapitel. Bis 1988 führte er – mit seiner Familie – eine Art Nomadenleben, die immer neuen Projekte erforderten in 10 Jahren 13 Umzüge. Nach dem Eintritt ins Rentenalter kehrte er nach Mecklenbeck zurück. Zeitlebens, schon aufgrund seiner Ausbildung als Architekt, stets ein fleißiger Zeichner, musste er ab 2002 ein Schwinden seines Augenlichtes verkraften, das sich ab 2008 verschlimmerte. Günter Sehrbrock begegnete diesem Schicksal, indem er sich mit dem Schreiben bzw. Sprechen auf Kassette ein neues Ausdrucksmedium erschloss. 20 Bücher sind inzwischen mit Hilfe von Assistenten, die die Tonbänder unter seiner Leitung transkribieren, entstanden. Im Jahre 2019 trat Günter Sehrbrock dem Arbeitskreis blinder und sehbehinderter Autoren, BLAutor, bei. 

Veröffentlichungen

50 000 000
Mein neuestes Buch – Ein Antikriegsroman

Dieses Buch gleicht im Text und der Bebilderung in keiner Weise meinen bisherigen Unterhaltungsromanen. Leserinnen und Leser soll es zum Nachdenken bringen über einen Krieg und das Leben und Sterben der Frontsoldaten. Der räuberische, menschenverachtende Überfall auf die Ukraine hat mich zum Schreiben dieses Buches angeregt. Längst vergessene Bilder aus meiner Zeit als Soldat in Russland erscheinen mir wieder vor den Augen. Ich habe den Wunsch, dass viele Menschen nicht nur das Buch lesen und dessen Inhalt nach kurzer Zeit vergessen, sondern es immer wieder zur Hand genommen wird, wenn es mal wieder irgendwo brennt.

In diesem Buch beschreibe ich das Leben von vier Freunden, Schulkameraden und Nachbarkinder, die ein frohes unbeschwertes Leben hatten. Weiter berichte ich über ihre Berufsausbildung und im letzten Kapitel über ihre Soldatenzeit und ihren Kriegstod. Kriegsbegeistert war keiner der vier. Zwei meldeten sich freiwillig nur wegen der schönen Uniform. Einer zu den Panzern und einer zu der Kriegsmarine. Der dritte zu den Fliegern. Seine Begeisterung galt schon immer dem Fliegen. Der vierte wurde wie alle anderen ebenfalls zum Wehrdienst eingezogen. Der Panzersoldat verbrannte in seinem Panzer. Der Matrose starb in seinem Unterseeboot und der Flieger nach einem Beschuss in seinem Flugzeug. Der vierte geriet nach den Kämpfen in Stalingrad in die russische Gefangenschaft. Er erlebte sie bis zum Sommer 1945. Auf dem Transport nach Hause starb er kurz vor der Heimat in einem Güterwaggon.

Die Schwester von einem der Jungen erlernte den Beruf der Krankenschwester. Nach ihrer Ausbildung meldete sie sich freiwillig als Schwester an die russische Front. Ihr Lazarett wurde von den Russen überrollt und sie musste danach russische Verwundete behandeln und pflegen. Monate später kam sie nach Hause. Halb verhungert und verdreckt erreichte sie die Straße, wo ihr Elternhaus stand. Die Straße gab es nicht mehr. Vom Haus ihrer Eltern stand nur noch eine schwarze verkohlte Wand.

Für diese fünf jungen Menschen, die noch gerne gelebt hätten, war alles verloren. Es war alles umsonst gewesen.

Hier eine Leseprobe:

Frühjahr 1944 Der Winter hatte sich seit Tagen zurück gezogen. Dafür hörte man fast zwei Wochen lang das Dröhnen von Motoren in der Ferne. „Jetzt wird es so richtig los gehen, nachdem was wir dort hören. Die Russen verstärken laufend ihre Front. Wir werden mächtig eins aufs Haupt kriegen. Zu wenig Treibstoff und zu wenig Munition. Wir werden sie kaum aufhalten können.“ Am frühen Morgen des 4. März begann die Schlacht. Fast nicht zählbare Mengen an Panzern und Kanonen fielen über die Deutschen her. Man hätte diesen Angriff mit der Größe eine Hammers und die Gegenangriffe mit der Größe eines Nagels vergleichen können, so waren die Kräfteverhältnisse. Auch die Division Großdeutschland stand ihnen gegenüber. Oberfeldwebel Schäfer und seine Besatzung saßen in ihrem 4. Panzer nach den Verlusten der drei vorherigen. Tagelang hörte der Beschuss nicht auf. Die Luft war voll von dem Geräusch zerberstender Granaten. Nur ein paar Stunden in der Nacht war es verhältnismäßig ruhig. Die deutschen Soldaten wehrten sich tapfer. Willi hatte Granate um Granate auf anstürmende Panzer geschossen. Jetzt blieb schon der 3., von ihnen getroffene, liegen. Am Morgen des 10. März, die Kampfhandlungen tobten schon zwei Stunden lang, erhielt der Panzer von Feldwebel Schäfer einen Treffer und zerbarst mit fürchterlichem Lärm. Willi, Peter und ihre Kameraden flogen von ihren Sitzen. Noch benommen, schaute sich Peter um. Ihn ergriff das Grauen. Dort, wo der Funker Josef gesessen hatte, war nur noch eine unförmige Fleischmasse zu erkennen. Es schlugen die Flammen aus dem Motor heraus. Die Abgase des brennenden Treibstoffes drangen in den Innenraum. Es wurde unheimlich heiß. Peters Augen gingen hinüber zu Willi. Dieser saß vor seinem Sitz und weit geöffnete Augen starrten Peter an. Sein Mund war weit geöffnet, als wollte er einen Schrei ausstoßen. Doch was Peter dann sah, veranlasste ihn, einen Schrei auszustoßen. Willis Uniform war aufgerissen, der Metallsplitter hatte nicht nur diese geöffnet sondern die Bauchdecke. Ein Teil der Därme hing heraus. Peter sank in die Knie. Er hatte gar nicht bemerkt, dass ein anderer von der Sprengung herrührender Splitter seinen linken Unterarm abgerissen hatte. Oberfeldwebel Schäfer versuchte unter ständigem Schreien die Turmklappe zu öffnen. Es gelang nicht, sie war zu verklemmt. Vergeblich versuchte der Fahrer, der Hans, seine Klappe zu öffnen mit dem gleichen Ergebnis. Es gelang auch ihm nicht. Es waren nur ein paar Sekunden, wo Peter sein Leben an sich vorüber ziehen sah: seine Eltern, die Schulzeit, die Erlebnisse mit seinen Freunden, seine Freundschaft mit Ulla, der Einzug in die Kaserne in Cottbus und viele Bilder aus den hinter ihm liegenden Kriegsjahren. Die stärker werdenden Abgase schläferten ihn ein. Ein Eindringen der Flammen in den Innenraum bekam er schon nicht mehr mit. In ihnen verbrannten der Panzerkommandeur Alfred Schäfer, der Richtschütze Willi Scholthaus, der Ladeschütze Peter Jake und der Funker und der Fahrer. Hatten sie doch so tapfer den bisherigen Rückzug aus Russland glücklich hinter sich gebracht.

Erhältlich ist das Buch in jedem Buchhandel und beim Agenda Verlag in Münster
ISBN 978-3-89688-806-8 für einen Betrag von € 13,90.

Weitere Veröffentlichungen

  • Burgruine Altnußberg   – Ausgrabung und Restaurierung
  • Dreiviertel des Lebens  – Autobiografie Band 1
  • Das letzte Viertel  – Autobiografie Band 2
  • Dönekes   –  Dorfgeschichten
  • Mitschüler  – Andenkenbuch
  • Der alte Mann  – Roman einer großen Freundschaft
  • Franziska und Christian  –  Freundschaft zwischen Jung und Alt
  • Kiepenkerl Tönne Gausepohl  – Abenteuer eines Landkaufmanns
  • Baumeister Lukas  – Schicksal im Mittelalter
  • Der Mann auf dem Kanal  – Leben eines Kanalschiffers
  • Der Weiler  –  Band 1 – 3, vom Mittelalter bis in die Neuzeit
  • Eine unendliche Liebe  –  Liebe zwischen Freund und Feind
  • Ulrike, Manu, die Liebe und ich  –  Schicksalsroman
  • Vom Heimkind bis zum Starreporter  –  Lebensbeschreibung
  • Die Nacht  –  das Leben des Bergarbeiters Fritz Knapp
  • Reisebilder  –  Zusammenfassung, 80 Zeichnungen und Aquarelle
  • Die Porzellan-Prinzessin  –  Schilderung des Lebens eines behinderten Mädchens und Porzellankünstlerin
  • 50 Millionen   –  Antikriegsroman
  • Stempelgeld  –  eine Familie in der Zeit der Weimarer Republik, Schilderung der Lebensumstände
  • Es geht weiter  –  vom Stadtjungen bis zum Hofbesitzer
  • Sammlung von Kurzgeschichten 

Leseproben

Der Wundermacher

von Günter Sehrbrock

März 1944. Schneereste decken die Pfützen zu. Alle Wege und Straßen sind so verschlammt, dass sie nicht befahren und nicht begehbar sind. Wir liegen in einem ukrainischen Dorf im Quartier, circa 50 Kilometer südlich der Stadt Schytomyr.

„Ich hätte mal wieder Appetit auf Berliner Ballen. Du nicht auch, Walter?“
„Appetit schon, aber wie sollen wir die machen?“
„In unserer Verpflegungskiste ist noch Mehl und ein Topf Schmalz. Wir haben auch noch einen Rest Zucker.“
„Du meinst, daraus können wir die Berliner Ballen backen? Das werden dicke, schwere Klumpen werden. Wir brauchen dazu noch Backpulver oder Hefe. Hast du so etwas?“
Ich schüttelte den Kopf.
„Dann wird daraus wohl nichts werden.“ Nur ein paar Minuten später: „Du kannst zum Sanitäter gehen und ihn nach Hirschhornsalz fragen. Das ist ein Treibmittel.“
„Woher weißt du, dass er so etwas besitzt?“
„Keine Ahnung, ich versuche es mal. Du kannst inzwischen die Vorbereitungen treffen.“ Ich ziehe die Jacke über und die Mütze auf den Kopf, ziehe die Hosenbeine hoch und gehe nach draußen. Bis zu den Knöcheln versinke ich im Schlamm. Ich überquere die noch kaum sichtbare Straße und steuere das Haus an, in welchem der Sanitäter Quartier bezogen hat. Durch den kleinen Garten erreiche ich den Eingang und mache die Tür auf. „Was ist denn hier los?“, denke ich mir. Der Sani ist umringt von vier Frauen, Ukrainerinnen im dicken Wattezeug und Tücher um Kopf und Hals geschwungen. Er empfängt mich mit den Worten: „Du kommst ungelegen, aber setz‘ dich in die Ecke da, hinten auf den Hocker.“
Ich folge seiner Anweisung. Er winkt eine abseitsstehende Frau zu sich. Ich habe gar nicht gewusst, dass Alois Oberbauer, so heißt der Sani, russisch kann. Wie es aussieht, können sich die beiden verständigen. Die Frau zieht ihre Wattejacke aus. Ich denke mir: „Jetzt wird es lustig.“ Aber nichts mit Lustigkeit. Sie schiebt den Ärmel ihres linken Armes hoch. Kurz über dem Ellbogen erkenne ich eine rot-blaue Geschwulst. Alois betrachtet sie, dann streicht er vorsichtig mit dem Finger darüber. Dabei wird die Frau blass. Dann murmelt er etwas vor sich hin und nickt mit seinem Kopf. Neben ihm auf dem Tisch sehe ich erst jetzt verschiedene Dosen. Alle sind gefüllt mit farbiger Salbe. Ich kann eine rote, eine gelbe und eine schwarz-braune erkennen. Mit seinem Zeigefinger streicht er über die dunkle und mit dieser reibt er die Geschwulst ein. Der Frau treten die Tränen in die Augen. Sie muss große Schmerzen haben. Dann zieht sie ihren Ärmel wieder hinunter und die Wattejacke an. Der Sani redet noch auf sie ein. Sie nickt und verlässt das Haus. Die nächste wird behandelt. Sie hustet immer wieder und muss den oberen Teil ihrer Brust freimachen. Alois reibt sie mit der gelben Salbe ein. Wieder eine kurze Anweisung und die Frau verlässt, nachdem sie sich wieder angezogen hat, das Haus. So geht es weiter mit der dritten und vierten. Bei der dritten kann ich keine Blessur erkennen. Aus einer Tüte nimmt Alois drei runde, braune Pillen heraus. Eine davon steckt die Frau in den Mund, die anderen zwei in ihre Jackentasche. Wieder ein Gemurmel von Alois und die Frau geht. Die letzte muss sich auf die Bank setzen. Sie zieht den Filzstiefel des rechten Fußes aus, dann wickelt sie etliche Tücher ab. Ein großer Teil des Unterschenkels ist rot. Ich frage mich, was er jetzt wohl macht. Er mischt von der roten und gelben Salbe etwas zusammen, einen größeren Klumpen, so groß wie eine Walnuss. Damit reibt er die Brandstelle des Beines ein. Die Binden werden wieder angelegt. Danach schiebt die Frau ihren Fuß wieder in den Filzstiefel. Wie bei den anderen drei gibt Alois der Frau eine Anweisung. Sie verlässt die Hütte. Wir sind allein.
„Mensch Alois, was machst du da?“
Mit ernstem Gesicht antwortet er: „Wieso? Ich heile die Frauen.“
„Du heilst sie? Bist du ein Wunderdoktor? Womit heilst du sie?“
Alois schmunzelt. „Ich verrate dir mein Geheimnis. Zahnpasta!“
Ich muss auflachen.
„Zahnpasta?“ „Ja, die eine hab ich mit dem Saft einer roten Beete gefärbt, die andere mit einer Mischung aus dem Saft und der Holzkohle und die gelbe mit dem abgekochten Sud einer Rübe.“
„Und wo hast du die Pillen her?“
„Ganz einfach. Ich habe Brot angefeuchtet, kleine Kugeln daraus geformt und diese dann in einer kleinen Auflösung von Schokolade gewälzt. Du siehst ja, sie sind wunderschön geworden.“
„Wenn sie auch so schön heilen.“
Der Sani lacht. „Kann man wohl so sagen. Auf jeden Fall ist noch keine dieser Frauen, die ich behandelt habe, mit Klagen gekommen. Im Gegenteil: Sie kommen zu einer neuen Behandlung. Meine Salben und Pillen wirken Wunder.“
„Ja, ja. In der Bibel steht schon: Der Glaube hat dich gesund gemacht.“
„Ja, so wird es wohl sein.“
„Männeken, Männeken. Dann wollen wir mal hoffen, dass die Straße bald wieder befahrbar ist und wir hier wegkommen. Dein Schwindel fällt bestimmt mal auf und dann bist du dran.“
„Das ist meine Sorge. Ich schaue jeden Morgen schon zum Himmel, ob die Sonne es gut mit mir meint und die Wege wieder passierbar macht. So wie ich dich kenne, machst du nichts ohne eine Gegenleistung.“
Wieder gleitet ein Grinsen über Alois Gesicht. „Was meinst du wohl, was dort unter dem Tuch liegt?“
Erst jetzt sehe ich, dass auf dem hinteren Ende des großen Tisches etliches unter einem Tuch verborgen ist. Er nimmt es herunter. Mir gehen die Augen über. Solch schöne Futteralien und in solch einer Menge habe ich lange nicht gesehen. Wie kümmerlich sind doch unsere Vorräte dagegen. Eine große Tonschale ist randvoll mit Eiern. Das dicke, weißgelbe Stück scheint Speck zu sein. Daneben liegt ein geräucherter Schinken. Drei Brote liegen übereinander. In einer weiteren Tonschüssel liegen grüne, längliche und runde Früchte.
„Mach den Mund zu. Du hättest nicht gedacht, dass ich, der Bauer Alois, aus den hohen Alpen, so viele, schöne Sachen besitze.“
Ich gewinne meine Sprache wieder. „Ist das alles die Bezahlung für deine Heilarbeit?“
„Ja, kostenlos gibt es bei mir nichts. Und, dass du die Klappe hälst. Von dem, was ich hier mache, dürfen die anderen nichts erfahren.“
„Du kennst mich doch. Aber wie du gerade gesagt hast, kostenlos gibt es nichts. Also, Alois, ich schweige, wenn du mir dafür ein paar Eier, vielleicht auch ein oder zwei der eingelegten Gurken oder Tomaten, dazu ein Stück Brot und natürlich auch einen Zipfel Speck und Schinken gibst. Natürlich nicht viel, nur ein wenig, was für Walter und für mich reicht.“
„Kriegst du, kriegst du. Du musst nur zusehen, dass du sie zu euch herüberkriegst, ohne dass es jemand sieht.“
„Das schaffe ich schon.“ „Aber sag mal, warum bist du hergekommen?“
„Ah ja, das hätte ich fast vergessen. Walter braucht etwas Hirschhornsalz. Du hast doch so etwas.“
„Ja, aber wofür braucht ihr es?“
„Wir wollen Berliner Ballen backen.“
Der Sani lacht und kriegt sich vor Lachen kaum ein. „Berliner Ballen? Das soll was geben.“
„Walter hat gesagt, das klappt.“
Alois beschäftigt sich mit seiner Sanitätstasche, entnimmt ihr ein kleines Papiertütchen und reicht es mir. „Hier hast du dein Hirschhornsalz. Ob es reicht, um damit Berliner Ballen zu backen, das weiß ich nicht. Aber wenn das was wird, dann kriege ich mindestens zwei Stück. Aber sicher.“ Damit greift er an seine Brust und formt sie zu einer Frauenbrust.
„Ist versprochen, du kriegst deine Berliner Ballen.“ Ich ziehe meine Uniformjacke aus, auch noch mein Hemd, ziehe die Jacke wieder an. In das ausgebreitete Hemd packe ich die gerade erhaltenen Köstlichkeiten, knote es zusammen und verabschiede mich von Alois. „Na dann, Herr Doktor, du Wundermacher. Weiterhin viel Erfolg.“

r. „Mensch, wo bleibst du? Ich warte schon lange auf dich.“
„Das Warten hat sich gelohnt, Walter. Schau mal her.“ Ich lege mein Bündel auf den Tisch und öffne es.
„Menschenskind, was bringst du da? So etwas habe ich schon lange nicht mehr gesehen.“
„Du bist ja auch kein Wundermacher.“ Verständnislos schaut mich Walter an.
Ich berichte darüber, was ich im Quartier des Sanitäters vorgefunden habe.
„Dieses Schlitzohr, aber wenn das mal gut geht.“ Vorab gesagt: Es ging gut. Gut geht es auch mit dem Backen der Berliner Ballen. Goldbraun und schön dick sind sie geworden. Mir fließt das Wasser im Mund zusammen bei ihrem Anblick. Es riecht so schön, wie in einer Backstube daheim, in welcher ich als Kind oft Gast gewesen bin.
„So, jetzt machen wir es uns gemütlich.“
Im Raum steht an der einen und an der anderen Wand je ein Bett. Walter stellt den Tisch dazwischen und darauf die Berliner Ballen. Wir machen es uns gemütlich und greifen zu den ersten, schönen, runden Dingern. Der Ballen fällt mir fast aus der Hand, ich habe nicht erwartet, dass er so schwer ist. Sonst sind die Berliner doch so luftig. Ich beiße hinein. Wenn man in einen Ballen Lehm beißt, dann hat der die gleiche Festigkeit wie unsere Berliner. Sie schmecken trotzdem. Vielleicht hatte ich auch den Geschmack von Berlinern vergessen. Dieser schmeckt mir.
Leider passiert dann etwas anderes. Ich habe so richtig meinen Mund voll, dann kracht es furchtbar. Über Walter entsteht ein Loch in der Wand. Es ist kein Berliner explodiert, nein, eine Granate war durch den Raum geflogen, bei Walter durch die Wand und über mir durch die Wand wieder hinaus. Der Schock hat uns erfasst. Wir können minutenlang kein Wort herausbringen. Es war wohl ein Blindgänger. Er hätte in dem Moment explodieren müssen, als er auf die Wand traf. Von Walter und mir wäre nicht viel übriggeblieben. Wir brauchen einige Minuten, um wieder zur Besinnung zu kommen. Der Raum ist voll Staub. Wir müssen husten. Die Berliner sehen jetzt so aus wie zuhause. Zwar nicht mit einem weißen Zuckerguss, sondern mit einem grauen. Alle Arbeit war umsonst. Die schönen, braunen Berliner sind nicht mehr zu genießen. Der halbe, den ich gegessen habe, reicht mir schon. Mein Magen scheint mir doppelt so schwer wie normal zu sein. Das hat der Berliner verursacht. Das Hirschhornsalz hat wohl nicht gereicht für die Anzahl der Berliner, die Walter gebacken hat.

Alois Oberbauer hat wohl den Einschlag der Granate in unser Haus mitbekommen. Er kommt herüber. „Was habt ihr Glück gehabt. Ihr lebt ja!“ Dann humorvoll, wie er immer ist: „Um euch ist es nicht wichtig. Wo sind meine Berliner?“
Wir wischen uns den Staub aus den Augen. Walter überreicht ihm den Teller mit den Berlinern.
„So, Oberbayer, hier hast du sie.
Guten Appetit.“
Alois Gesicht wird immer länger, er lässt Berliner und Teller fallen. Eine dieser runden Sachen rollt ihm vor die Füße. Er tritt einen Schritt zurück und mit gezieltem Fußtritt fördert er ihn durch das gerade entstandene Loch in der Wand nach draußen. Dann sehen wir drei uns an, wir zwei, grau von oben bis unten. Die Spannung löst sich und wir müssen furchtbar lachen. Es ist alles gut gegangen. Wir leben noch und die Berliner, waren, Gott sei Dank, ungenießbar. Hätten wir sie gegessen, dann wären wir beide mit Magenschmerzen wohl die nächsten Patienten bei dem Wundermacher Alois gewesen.
***

Inkognito

Aus der Reihe meines Buches: Reporter

An einem sonnigen Nachmittag waren die drei mal wieder mit dem Rad unterwegs, doch schon an der Zufahrt zur Villa Hügel wurden sie gestoppt. Etliche Polizeiautos durchfuhren das Tor zum Hügelgelände. „Da ist was los, Jungs. Nichts wie hinterher“, forderte Jörg, Hansi und Waldi auf. Am Eingangstor wurden sie gestoppt. Der Pförtner erklärte ihnen, dass sie heute nicht hineindürften. „Warum nicht? So viel Polizei. Ist ein Verbrechen geschehen?“ Der Pförtner lachte. „Kein Verbrechen, morgen erfolgt hier ein Staatsbesuch. Die Polizei ist hier, um die Absicherung für den Besuch vorzunehmen.“ Jörg wollte wissen, wer kommt. „Das ist ein Geheimnis“, antwortete der Pförtner mit ernster Miene. Mit dieser Information stiegen die drei wieder auf das Rad und fuhren hinab zum Baldeney-See. Hier saßen sie am Ufer. „Wer mag das sein, bei solch einem Aufwand?“, fragte sich Hansi. „Auf jeden Fall ein hohes Tier, sonst würden die Sicherheitsmaßnahmen nicht in solch einem großen Umfang erfolgen.“, meinte Jörg. Die drei diskutierten nicht mehr und fuhren weiter enlang des Baldeney-Sees bis nach Werden. Es wurde, wie des Öfteren in einem Café Einkehr gehalten, gab es doch hier ein gutes und großes Eis. Nachdem sie es ausgelöffelt hatten, ging es mit neuen Kräften den Berg hinauf zurück nach Bredeney. Hier auf der Bank sitzend, meinte Waldi: „Was ist mit dir los Jörg? Du bist so schweigsam.“ „Mir geht etwas durch den Kopf.“ „Etwas schlimmes?“ „Ah, überhaupt nicht, es ist auch nicht wichtig, aber irgendetwas geht mir durch den Kopf, ich weiß nur noch nicht, was.“ „Ah, der Reporter“, hänselten die Freunde, Jörg.
Nach dem Abendessen begab sich Jörg zum Hausmeister und erbat sich von ihm einen kleinen Handbohrer, etwas Bindfaden und dazu ein paar Meter beweglichen Draht. „Was willst du damit machen?“, wollte der Hausmeister wissen. „Ach… irgendetwas basteln, ich weiß nur noch nicht was.“ „Wenn du damit fertig bist, brinst du den Bohrer aber wieder zurück.“ „Selbstverständlich bring ich ihn zurück.“ Auf der Stube angekommen, versteckte er die Sachen in seiner Fototasche. Entgegen sonstiger Gewohnheit, ging er an diesem Abend früh ins Bett. „Er sei müde!“ erklärte er Ulla und den Freunden. “ Du wirst doch wohl nicht krank werden?“, wollte Ulla wissen. „Nein, nein, Morgen wird es schon wieder gehen.“ Die beiden Freunde unterhielten sich weiter mit Ulla. Als sie später auf das Zimmer kamen, schien Jörg tief zu schlafen.
Jörg hatte alles geplant. Er wusste nur noch nicht, wie er um vier Uhr morgens wach werden sollte. Ein Klingeln des Weckers kam nicht in Frage, damit hätte er auch seine Freunde geweckt. Er blieb unruhig und immer wieder schaute er auf die Leuchtziffer seiner Armbanduhr. Endlich war es soweit. Vier Uhr. Leise stieg Jörg aus dem Bett, zog sich an und nahm seine Fototasche über die Schulter. Die Schuhe zog er erst vor dem Haus an. Verlassen konnte er das Haus durch den Kellereingang. Das Aufschließen der Eingangstür wäre bestimmt vernommen worden. Zurück auf dem Tisch in ihren Zimmern, lag ein Zettel, auf dem er vermerkt hatte: „Ich genieße den frühen Morgen und schaue mir den Aufgang der Sonne an und bin zum Mittagessen zurück.“ Jörg begab sich zu Fuß zur Villa Hügel. Das große Eingangstor war verschlossen, kein Mensch war zu sehen. Totenstille! Jörg schritt auf dem Fußweg den Zaun entlang. Bis zum Erreichen der großen, im Frühjahr längst abgeblühten Rodondendonsträucher neben denen sich das frühere Spielhaus der Krupp´schen Kinder befand. Er überstieg er den hohen Drahtzaun, schlich durch das Gebüsch und blieb vor dem hölzernen Haus stehen. Er versuchte die Tür zu öffnen. Wie erwartet, ließ sie sich nicht öffnen. Er nahm den Bohrer zur Hilfe, bohrte ins Holz und konnte jetzt mit dem festsitzenden Bohrer die Tür öffnen. Leises Knirschen war zu hören. Jörg erschrak. Hatte jemand etwas gehört? Nein! Es blieb alles still. Er schob die Tasche in das Haus und kletterte hinein. Dann zog er den Bohrer aus der Tür, zog diese nach und benutzte von innen den Bohrer als Griff. Jetzt konnte er die Tür wieder zuziehen. Von außen war nichts zu sehen. Finsternis umgab ihn in diesem kleinen Raum. Die Hütte hatte zu allen Seiten Fenster, welche zurzeit mit Läden verschlossen waren. Ein Öffnen kam nicht in Frage. In dem Raum herrschte ein muffiger Geruch. Es roch nach feuchtem Holz und Staub. Fingerdick lag der Staub auf den beiden Sitzbänken und von allen Seiten berührten Spinnengewebe sein Gesicht. Er wehrte sie mit der Hand ab und versuchte den Laden, der zur Villa zeigte, zu öffnen. Er erschrak über das scharrende Geräusch, welches beim Öffnen zu hören war, doch weiter als drei Meter entfernt war es nicht mehr zu hören. Er zog den Laden wieder zu. Ein kleines, sich in der Tür befindliche Loch, gab den Blick auf den Eingang der Villa frei. Jörg versuche, ob Loch und Objektiv von gleicher Größe waren. Ja, es musste funktionieren. Durchs Objektiv sah Jörg, dass das Blickfeld über den ganzen Vorplatz bis zur Eingangstür zu sehen war. Das beruhigte ihn. Jetzt konnte er nur noch warten. Die Stille wurde durch ein Geräusch gestört, welches Jörg kannte.
Das Öffnen des großen Eisentores verursachte immer ein Quietschen. Danach blieb es wieder still. Jörg wurde schon ungeduldig bis sich die beiden Türen zum Eingang zur Villa Hügel öffneten. Bedienstete kamen heraus, fegten über die Treppe und den Vorraum. Zwei andere brachten eine dicke, rote Rolle heraus. Es war der Empfangsteppich. Er wurde über die Treppe bis weit auf den Vorplatz ausgerollt. Der Hausmeister erschien und kontrollierte, ob die Angestellten alles richtig gemacht hatten. Er schien zufrieden zu sein. Alle zogen sich zurück. Wieder trat Stille ein. Jörg wurde es mittlerweile ungemütlich in dem kleinen Haus. Hinzu kam die Langeweile, die ihn quälte. Stunde um Stunde verging. Erst gegen neun Uhr vernahm er Motorengeräusche. Zwei Polizeiwagen fuhren vor. Uniformierte Beamte entstiegen ihnen. Die Fahrer brachten die Autos auf die Rückseite des Hauses. Die Beamten teilten sich in zwei Gruppen und kontrollierten rechts und links der Villa das Gebüsch, hinunter bis zum See, vermutete Jörg. Sollte er jetzt schon entdeckt werden? Doch ohne das alte Spielhaus zu berücksichtigen, begaben sich die beiden weiter bis zur Umzäunung. Nach geraumer Zeit kehrten die Polizisten zurück. Es schlug zehn Uhr, als Jörg wieder Motorengeräusche hörte.
Einen Moment später fuhren als erstes zwei Polizeimotorräder vor. Auf ihnen saßen weiß gekleidete Polizisten, im Volksmund weiße Mäuse genannt. Ihnen folgten zwei große, schwarze Limousinen. Diesen folgten noch einmal zwei weitere Motorräder der Polizei. Der erste Wagen hielt direkt vor der Eingangstür. Heraus sprangen vier schwarz gekleidete, kräftige Männer. Es war die Leibgarde. Der Wagen fuhr zur Seite und der zweite fuhr an seine Stelle. Die Bodyguards öffneten seine Türen. Als erster entstieg ein schlanker Großer mit grau gewellten Haaren dem Wagen. Jörg erkannte ihn. Hatte er ihn doch schon oft genug auf Bildern gesehen. Es war der Schah von Persien. Aus der anderen geöffneten Tür entstieg Kasiserin Soraya, der Schah im schwarzen Anzug und sie in einem honigfarbenden Kostüm gekleidet. Vor der Eingangstür war bei Herannahen der Wagen die Familie Krupp erschienen, Alfred Krupp, das jetzige Familienoberhaupt. An seiner Seite sein Bruder Bertold von Bohlen und Halbach. Zwischen beiden Söhnen stand Berta Krupp, die Witwe des Firmengründers Alfred Krupp sen. Die drei gingen dem Kaiserpaar entgegen. Sie reichten sich die Hände mit gleichzeitiger Verbeugung vor dem Schah. Die ersten Worte wurden gewechselt. Jörg filmte und filmte, bis alle durch die Eingangstür verschwunden waren. Motorräder und Pkws verschwanden hinter dem Haus. Die Eingangstüren zum Haus wurden geschlossen. Auf dem Vorplatz war wieder Stille eingekehrt. Jörg überlegte, ob es ratsam war, jetzt schon zu verschwinden oder noch abzuwarten, was geschehen würde. Vielleicht gelangen ihm noch ein paar schöne Aufnahmen, wenn das Kaiserpaar den Hügel wieder verlassen würde. Er entschied sich für das letztere. Nach einer weiteren Stunde öffneten sich wieder die Türen. Im gleichen Moment erschienen wieder die Limousinen und die vier weißen Polizisten. Das Kaiserpaar verabschiedete sich von den Gastgebern. Die Bodyguards geleiteten sie zum Auto und öffneten ihnen die Türen. Die Besucher nahmen Platz. Ein letztes Winken! Die Motorräder und Autos setzten in Bewegung. Mutter und Söhne gingen ins Haus zurück und die Türen wurden geschlossen. Stille trat wieder ein und Jörg war im Besitz weiterer Aufnahmen. Er überlegte ob er die Gunst der Stunde nutzen solle um sein Versteck zu verlassen oder noch warten sollte bis zum Nachmittag. Er entschloss sich zum ersteren und öffnete die Tür und schob seine Beine heraus, glitt zur Erde und nahm seine Fototasche auf. Er schaute sich noch einmal vorsichtig um. Dann schlich er in das dichte Gebüsch und weiter bis zum Zaun. Der vorbeiführende Weg war menschenleer. Eiligst kletterte er über den Zaun. Es hatte geklappt. Jörg war wieder draußen. Er atmete auf, konnte er doch endlich seine Glieder wieder strecken. Im engen Haus war das nicht möglich gewesen.
Jörg eilte nach Hause, wo er mit großer Ungeduld von seinen Freunden, aber auch von Ulla, erwartet wurde. „Mensch, wo kommst du denn her? Einfach zu verschwinden und uns nicht zu sagen, wohin.“ „Ich komme von der Villa Hügel.“ „Deiner Fototasche nach, has du dort gefilmt.“ „Ja, ich habe den Schah von Persien und seine Frau aufgenommen“, dabei klopfte Jörg mit seiner Hand auf die Fototasche. „Und das konntest du anstandslos machen?“ „Nein, natürlich nicht.“ Ulla forderte ihn, sich zu setzen und über seine Erlebnisse zu berichten. Er begann zu erzählen. Über seine Vorarbeiten und das lange Sitzen in dem engen Häuschen, über das Aufnehmen des Schahs und seiner Frau, das Drumherum der Bodyguards und der Polizisten. Natürlich auch die Begrüßung durch die Familie Krupp. „Das habe ich alles in meinem Fotoapparat.“ Über den Bericht war Ulla blass geworden. „Mein Güte, Jörg, was hast du da gewagt? Wenn sie dich nun geschnappt hätten, dann befändest du dich jetzt im Pittermann.“ Sorgen habe ich genug gehabt, aber ich war mir sicher, dass ich ohne entdeckt zu werden, die Aufnahmen machen konnte . Wie ihr seht, hat alles geklappt. Ich sitze heil vor euch. Wenn ich mit diesen Unterlagen bei der Redaktion erscheine, dann fällt Herr Merschmann vom Stuhl.“ Lieber hätte Jörg ja die Aufnahmen selbst entwickelt, war sich darüber jedoch im klaren, dass seine Kenntnisse, gute Bilder zu erreichen, nicht ausreichten. Somit entschloss er sich, alle Filme zur Zeitung zu bringen.
„Jetzt wisst ihr Bescheid und ich habe einen Bärenhunger.“ „Hast du noch nichts gegessen?“ wollte Hansi wissen. „Nein.“ Eine viertel Stunde später, stand das Essen für die drei auf dem Tisch. Zur Verwunderung der Köchin, aß Jörg das Doppelte von dem, was er sonst zu sich nahm. „Puh, jetzt bin ich aber satt und zu neuen Schandtaten bereit!“ Damit strich er mit der Handfläche über seinen Bauch. „Jetzt hab ich keine Zeit mehr. Ich muss sofort in die Stadt zu Herrn Merschmann, um ihm das zu bringen, was ich aufgenommen habe.“ Waldi wollte wissen: „Sollen wir mitkommen?“ „Nein, ihr seid mir dabei nur im Weg. Ich muss mich doch geschäftlich betätigen.“ Seine Freunde lachten. „Geschäftlich betätigen, klinkt gut.“, bemerkten die beiden. „Natürlich! Es muss sich ja lohnen für das, was ich in den Nacht- und Morgenstunden geleistet habe.“
Jörg eilte zur Straßenbahn und fuhr mit ihr in die Stadt. Am Bahnhofsplatz ausgestiegen, begab er sich in das Haus der Redaktion. Mit dem Paternoster fuhr er nach oben. Am Flur der Redaktion sprang er heraus und eilte in das Vorzimmer von Herrn Merschmann. Die Sekretärin begrüßte ihn. „Du willst zum Chef?“ „Ja, gerne.“ Sie griff zum Telefon und meldete Jörg an. Er brauchte nicht lange zu warten und wurde umgehend hereingerufen. „Na, Jörg! Bringst du mir etwas Neues? Du siehst so glücklich aus. Komm, setz dich her.“ „Erst muss ich ihnen zu ihrem Chefredakteur gratulieren. Ihre Beförderung habe ich gerade von ihrer Sekretärin erfahren.“ Merschmann winkte ab. „Das ist nicht wichtig.“ Jörg hatte Platz genommen. „Zeig her, was du dabei hast.“ „Ja Herr Merschmann, es ist etwas Besonderes.“ „Da bin ich aber gespannt. Was ist es?“ Mit diesen Worten schob er die Zeitungen, die vor ihm lagen, auf die Seite. „Nun leg mal los.“ Erwartungsvoll schaute Merschmann Jörg an. Jörg packte aus und legte eine Anzahl von Filmrollen auf den Schreibtisch. „Was ist da drauf?“ wollte der Redakteur wissen. „Ich habe unentdeckt die Ankunft des persischen Kaiserpaares auf der Villa Hügel gefilmt. Sie waren, wie es schien, inkognito da.“ „Nein, das gibt es nicht. Es war ein privater Besuch, bei dem Reporter nicht zugelassen waren. Und wie bist du an die Aufnahmen gekommen?“ „Heimlich!“ „Heimlich ist gut, aber es gibt keine Stelle, von der man heimlich filmen kann. Jeder würde sofort entdeckt werden.“ „Aber nicht in dem Örtchen, in dem ich gesessen habe.“ „Dann erzähl mal von Anfang an.“ „Jörg begann mit seiner Erzählung über all das, was er gesehen und gefilmt hatte. Merschmann erstaunte über das, was er hörte, je mehr er berichtete, desto größer wurde sein Erstaunen. Jörg hatte seinen Bericht beendet. Es war Stille eingetreten. „Junge, Junge, was hast du da gewagt? Was meinst du, wenn man dich entdeckt hätte.“ „Ja, es hätte sein können aber nicht in dem kleinen Häuschen, in dem ich saß. In dieser kleinen Hütte mit verschlossener Tür ohne Griff, wäre niemand auf die Idee gekommen, dass da jemand sitzt.“ „Da hast du einen riesigen Dussel gehabt. Und wie geht es weiter? Willst du den Bericht selbst schreiben oder soll es einer unserer Redakteure übernehmen?“ „Den möchte ich schon lieber selbst schreiben.“ Merschmann lachte. Diese Antwort hatte er erwartet. „Dann geh hinüber in den Schreibsaal, lass dir eine Maschine geben und schreib los.“ Jörg verließ den Raum, erhielt eine Schreibmaschine und begann zu schreiben.

Eine Stunde später saß er mit dem Ergebnis seines Schreibens wieder vor dem Schreibtisch von Herrn Merschmann, welcher in der Zeit die entwickelten Fotos durchgesehen hatte. Mit prüfendem Blick auf Jörg, begann Herr Merschmann zu sprechen: „Was hast du da geleistet. Bilder, so deutlich und folgerichtig aufgenommen, habe ich lange nicht mehr gesehen. Sogar meine besten Reporter bringen mir so etwas nicht her. Schau sie dir an.“ Damit schob Herr Merschmann die Fotos zu Jörg hinüber. Jörg übergab Herrn Merschmann seinen gerade geschriebenen Bericht. Dieser las ihn, während Jörg sich seine Aufnahmen ansah. Herr Merschmann las den Bericht zweimal, blieb danach längere Zeit wortlos. Jörg hatte schon Bedenken, dass er den Bericht nicht gut finden würde. „Das hier, das ist die Wucht! Nicht ein Wort zuviel und nicht ein Wort zu wenig. Keiner meiner Leute hätte einen besseren verfassen können. Er ist so präzise geschrieben. Jörg aus dir wird noch etwas! Ich bin froh, dich kennen gelernt zu haben. Von deiner Güte gibt es unter zehn nur einen. Ich könnte mir vorstellen, wenn du weiter solche Berichte lieferst, könnten wir damit die bekannteste Zeitung Europas werden.“ Über dieses Lob erötete Jörg. Ein Lachen glitt über sein Gesicht. „Ah, Herr Merschmann, noch bin ich Schüler und eine Schwalbe macht noch keinen Sommer. Ich habe Glück gehabt.“ „Es ist nicht nur der Bericht. Es sind auch die Bilder. Sie sind Spitzenklasse.“ Merschmann stand auf, umrundete seinen Schreibtisch, trat auf Jörg zu, reichte ihm seine Hand und die andere legte er Jörg auf die Schulter. „Ich danke dir sehr für das, was du geleistet hast, auch im Namen der Zeitung. Aber Junge, mach das nicht wieder. Es ist zu gefährlich für dich. Wenn du geschnappt wirst, dann fliegst du bestimmt von der Schule und deine Laufbahn ist beendet, bevor sie richtig angefangen hat.“ Ich werde ihre Worte beachten. Eine „Villa Hügel“ wird es nicht wieder geben. Aber meine Augen werde ich aufhalten für alles Interessante.“ Merschmann setzte sich wieder in seinen Sessel. „Sobald der Bericht erschienen ist, werden alle wissen wollen, wer der Reporter war, sind es doch Aufnahmen, welche vermieden werden sollten. Sie können von mir nicht verlangen, den Namen bekannt zu geben. Die Pressefreiheit erlaubt es ihnen nicht.“ Merschmann machte Platz, legte die Hände zusammen und blickte Jörg an. „Das Honorar für deine Arbeit überweisen wir auf dein Konto bei der Bank.“ Der Mann und der Junge verabschiedeten sich. Im Paternoster hätte Jörg am liebsten laut gesungen, so groß war seine Freude.
——————————————-
Zurück zu den Vitae
Zurück zur Startseite