Leseproben von Dorothee Feuerstein
Auf dieser Seite finden Sie zwei Texte von mir als Leseproben.
Aber bitte mit Glasaugen
Als junge Frau bin ich ja ziemlich viel in der Weltgeschichte herumgegondelt, und als blinde hat man da häufig das Problem, sich irgendwo durch Fragen zu müssen, was zwar auch Sehende tun sollten, aber die einen unterlassen es, weil sie oft zu stolz dazu sind, was so manchen Ehekrach im Auto provoziert, die anderen wiederum handeln nach dem Motto, wer lesen kann, ist im Vorteil, und orientieren sich einfach anhand der Beschilderung.
Dies ist natürlich einem Blinden weitestgehend unmöglich. Daher bedarf es schon einer gewissen Offenheit für Abenteuer, um sich immer wieder ein Herz zu fassen, sich auf neue Begegnungen einzulassen und aufs gerate wohl Hilfe bei der nächst besten Person zu suchen. So geschah es an einem schönen Werktag, als ich in Düsseldorf beim Arzt war, in einer mir völlig fremden Stadt. Ich nutzte die Gelegenheit, das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden, und flanierte gemächlich auf der berühmten und sündhaft teuren Kö auf und ab, und irgendwann beschlich mich dann doch ein immer stärker werdendes Gefühl von Hunger. Ich sprach die Person an, die ich am nächsten bei mir wähnte. Die sonore Stimme eines Mannes, der gut und gerne mehrere Jahre auf See hätte verbracht haben können, rief beherzt, „Los, Hand auf die Schulter, und ab gehts!“ Er brachte mich in ein schönes und relativ teures Restaurant, in welches er mich sogar einlud. Seine Gesellschaft, bei der er mir unter anderem auch verriet, wo er das mit der „Hand auf die Schulter“ gelernt hatte, wäre eigentlich sehr angenehm gewesen, wenn er nicht ein schweres Magenleiden gehabt hätte, wodurch er beim Essen öfter ziemlich penetrante Geräusche von sich gab.
Entschädigt von dieser misophonen Geräuschuntermalung wurde ich aber durch die Unterhaltung selbst , die er mir bot, und natürlich kamen wir dann auch auf das Thema Blindheit zu sprechen. Er meinte, er habe keine Partnerin, und er könne sich durchaus vorstellen, auch eine blinde Frau an seiner Seite zu haben. Und er wolle eine, die im Gegensatz zu mir überhaupt nichts sieht, möglichst mit Glasaugen. „Besorgen Sie mir doch eine von ihrem blinden Bekannten, mit Glasaugen.“ Ich, die mich aus Jux, und um das Spiel am Laufen zu halten, auf sein Ansinnen einließ, sagte, ich kenne da eine Frau, sie ist allerdings ziemlich groß, kräftig und etwas schwerfällig und nicht sehr beweglich, sie ist ganz blind und sehr nett. „Nein, aber es sollte schon etwas mit Esprit sein.“ Also Ansprüche hatte der betuchte Herr auch noch. So unterhielten wir uns noch eine Weile, selbst wenn er es tatsächlich ernst gemeint hätte, wäre ich natürlich seinem Wunsch, die Kupplerin zu spielen, keinesfalls nachgekommen.
Nach dem Essen brachte er mich zu einem Taxi, drückte mir noch 20 DM für den Taxifahrer in die Hand, und dann, bevor das Fenster ganz geschlossen war, klopfte er mir noch einmal auf die Schulter und rief: „und denken Sie daran, mit Glasaugen!“
Man hat mir ordentlich die Fresse poliert
Alles fing an mit einem Brief, ein strahlendes Lächeln wollen wir doch alle haben, und wir wollen es uns auch für die Zukunft erhalten. Ich rief also an und erhielt einen Termin.
Man drückte mir ein Formular in die Hand, hier bitte unterschreiben. Alles war besprochen. Die Vorbereitungen waren gelaufen, ich nahm Platz. Zunächst wurde mir eröffnet, dass der Bäcker nebenan, bei dem ich mir danach immer meine Belohnung abholte, heute geschlossen hatte. Ich nahm es hin und ergab mich in mein Schicksal.
Die Kette, die man mir um den Hals gelegt hatte, wurde hinten verschlossen. Mein Kopf wurde zurückgebogen, und es ging los. Ich Hörte Ein Piepen, Rauschen, Rumoren, Wasser floss in meinem Mund umher. Es tat weh. Ich schmeckte Blut. Mein Gesicht wurde mit einem Tuch verdeckt. Abermals spritzte und sprühte es. Ich schmeckte Salz, Blut, zusätzlich auch ein Aroma, das wohl zugesetzt worden war. Mein Zwerchfell zuckte verdächtig, die Tränen stiegen mir in die Augen.
„So, das Schlimmste haben sie jetzt überstanden, sie können sich aufsetzen und den Mund ausspülen“, sagte die Prophylaxehelferin. Nachdem ich dann nur noch die Zahnseide in meinen Zahnzwischenräumen erdulden musste, putzte sie mir noch die Zähne und schmierte alle Zähne mit einem Fluoridlack ein.Am Ende gab sie mir noch die Rechnung in die Hand.
Die verschärfteste freud’sche Fehlleistung brachte dann auch noch mein Zahnarzt, als er den Taxischein unterschrieb und dabei meinte, „Sie kommen ja sowieso fast jede Woche hierher, ääähhhem… , also ähh ziemlich oft…..“ Man könnte fast meinen, das wäre schon bald wahr. Zumindest liefern sich Kosmetikerin und Zahnarzt auf diesem Gebiet ein Kopf-an-Kopf-Rennen.
In 3 Monaten habe ich wieder einen Termin, der ausgerechnet auch noch am selben Tag stattfindet, an dem ich zum Frauenarzt muss. Ich habe diesen Tag mit Foltertag überschrieben. Aber dann habe ich es wenigstens hinter mir für dieses Jahr.