Meine lieben,
Ich weiß, dass die Sätze „Wir sind Kinder des Feuers“, oder „Wir bestehen aus Sternenstaub“ fast schon etwas abgegriffen sind, weil sie oft z. B. in astronomischen Vorträgen verwendet werden. Ich sehe das ein bisschen anders. Die Inhalte dieser beiden Sätze sind derart existenziell, dass sie es mit jeder Schöpfungsgeschichte locker aufnehmen können. Und das beste an diesen Sätzen ist, dass sie nicht nur eine mögliche Erklärung der schöpfung sind, sondern dass es sich hier um unumstößlich astronomische und wissenschaftlich nachweisbare Tatsachen handelt. Kinder des Feuers sind wir deshalb, weil erst mal alte Sterne sterben und explodieren mussten, um in der Weihnachtsbäckerei alle schwereren chemischen Elemente zu backen. Und aus Sternenstaub bestehen wir deshalb, weil wir eben aus der Sternenasche, den dort gebackenen chemischen Elementen , bestehen. Und aus diesem Grunde freut mich sehr, dass unsere heutige Geschichte das Wort „Sternenstaub“ in ihrem Titel trägt. Den Inhalt kenne ich selbst noch nicht, weil ich unsere Türchen erst dann öffne, wenn sie veröffentlicht sind. Lassen wir uns also gemeinsam überraschen und weihnachtlich verzaubern.
Emily und der Sternenstaub
von Martin Krefta
überarbeitet durch Tom Nentwich
Wenn du dir Etwas wünscht, liegt es daran, dass du einen Stern fallen siehst.
Wenn du einen Stern fallen siehst, liegt es daran, dass du in den Himmel schaust.
Wenn du in den Himmel schaust, liegt es daran, dass du immer noch an etwas glaubst.
Bob Marley (Reggae-Sänger, 1945-1981)
22. Dezember
Schwarz! Ob ich stehe oder liege, kann ich nicht bestimmen. Die Dunkelheit
macht mir schon ein wenig Angst, da sie so allumfassend ist. Plötzlich sehe ich
einen kleinen Lichtfleck, der nach und nach größer wird. Als die Verpackung
geöffnet wird, in der ich mich befinde, sehe ich eine weiße Tapete und eine
halbmondförmige Lampe. Ein Gesicht schiebt sich in mein Blickfeld und eine
Stimme dringt an mein Ohr. „Du bist aber wunderschön! Dich stelle ich erst
einmal auf den Schrank zu den Anderen.“ Eine Hand schiebt sich um meinen
Körper und hebt mich aus dem Karton. Nun, da keine Dunkelheit mehr ringsum
ist, kann ich auch die Frau und den Raum, in dem ich mich befinde, sehen. Frau
Winkelbach ist schätzungsweise Ende 50, hat braune lange Haare, ein
freundliches Gesicht und blaugrüne Augen, die mich aufmerksam mustern. Mitten
im Raum steht ein großer, wunderschön geschmückter Tannenbaum. Frau
Winkelbach trägt mich zu einem schwarzbraun gefleckten Holzschrank, auf dem
schöne Figuren und ein kleines Dorf stehen. „Du bekommst den Namen Emily von
mir. Und ich stelle dich ganz nach vorne.“ Ich heiße also Emily. Warum nicht? Ich
finde den Namen schön und er passt zu mir. Sie richtet mich mit dem Gesicht zum
Tannenbaum aus. „Morgen werde ich dich dann auf die Spitze setzen. Da gehörst
du hin.“ Ich freue mich so sehr als ich das höre, dass ich gleich mit meinen
sternförmigen Flügeln wackeln muss. Frau Winkelbach sieht es und strahlt über
das ganze Gesicht.
23. Dezember
Bislang habe ich noch niemanden gesehen. Der Tannenbaum leuchtet in allen
Farben und viele bunte Geschenke liegen unter ihm am Boden. Der Esstisch unter
dem Fenster ist mit einem Adventkranz und Kastanien geschmückt. Über die
letzte Nacht war eine Lichterkette an und hatte im ganzen Zimmer Sterne
projiziert. An der gegenüberliegenden Wand geht die Tür auf. Frau Winkelbach stellt sich vor mich und flüstert: „Hallo Emily, ich hoffe, du hattest eine schöne
Nacht. Das sind meine Tochter Sara und ihr Sohn Tom. Sie helfen mir, den Tisch
zu decken und dich auf die Spitze zu stellen.“
Sie wendet sich wieder ab und spricht ihre Tochter an. „Sara, kannst du mit
Tom in die Küche gehen und Geschirr für den Tisch suchen?“, fragt Frau
Winkelbach und zeigt dabei auf den Wohnzimmertisch am Fenster. Die Blonde
nickt und schiebt ihren Sohn aus dem Raum zur Küche.
Frau Winkelbach dreht sich wieder mir zu und murmelt „Du bist wirklich
schön, Emily. Da habe ich echt einen guten Kauf im Internet getätigt.“ Inzwischen
kommt Tom mit allerhand Geschirr ins Wohnzimmer und verteilt es am Tisch.
„Warum decken wir eigentlich für vier Personen? Wir sind doch morgen nur drei
oder nicht?“, fragt er seine Oma. Sie schüttelt den Kopf und antwortet: „Nein,
morgen kommt Sabine, eine gute Freundin von mir.“ Dann dreht sie sich um,
deutet auf mich und sagt: „Könntest du bitte Emily hier vom Schrank nehmen und
auf die Spitze des Baumes stellen?“ Tom sieht seine Oma merkwürdig an, als hätte
sie ihn aufgefordert, zu tanzen. „Wen meinst du mit Emily?“, fragt er verirrt. Sie
lächelt, streicht ihm über den Kopf und sagt dann: „Emily ist die vorderste Figur
auf dem Schrank.“
„Der Tisch sieht wirklich wunderschön aus, eigentlich sieht das ganze
Wohnzimmer super aus! Jetzt kann Weihnachten kommen!“, sagt Sara und breitet
die Arme aus, als würde sie die ganze Welt umarmen wollen. Tom poltert durch
die Wohnzimmertür und verkündet stolz: „Ich bin nicht mehr Tom, sondern Bob
der Baumeister. Ich habe einen richtigen Männerauftrag. Daher habe ich eine
Leiter geholt.“ „Dann zeig mal, Bob, was du draufhast.“, meint seine Mutter mit
einem Lächeln im Gesicht. Der kleine Baumeister macht das Friedenszeichen und
fasst mich ganz vorsichtig an. Dann steigt er auf die Leiter, setzt mich ganz
behutsam auf die Spitze des Tannenbaums und richtet mich so aus, dass ich den
ganzen Raum überblicken kann. „Auftrag erfolgreich ausgeführt.“ Hier oben habe
ich so einen guten Ausblick, als säße ich auf dem Mond. Tom und Frau
Winkelbach verlassen das Wohnzimmer. Sara zieht ein kleines, blaugrün
gestreiftes Päckchen aus ihrer Bluse und legt es zu den anderen Geschenken.
Dann schaut sie in meine Richtung, zwinkert mir zu und verlässt ebenfalls das
Zimmer.
Nun bin ich allein, natürlich nicht ganz allein. Die anderen Figuren, die ich
jetzt sehen kann, stehen auf dem Schrank. „Ho-Ho-Ho.“, ruft eine Stimme von
weiter vorne. Als ich in die Richtung schaue, winkt mir der Weihnachtsmann zu und grinst über das ganze Gesicht. Er klettert in seinen Schlitten, die Rentiere
setzen sich in Bewegung und fliegen dreimal um den Tannenbaum um schließlich
vor mir anzuhalten. Dann holt der Weihnachtsmann etwas aus seinem Sack, wirft
es in die Luft und winkt mir zu bevor der Schlitten wieder zurück auf den Schrank
fliegt. Es ist Glitzerstaub, der langsam auf mich herabsinkt. Mir fallen mir sofort
die Augen zu und ich schlafe ein…
24. Dezember
„Guten Morgen Emily.“, dringt eine Stimme von unten an meine Ohren.
Grinsend blickt Tom zu mir empor. Nachdem ich mit den Flügeln gewackelt habe,
geht er zu den anderen, die um den Tisch versammelt sind und fragt mit
aufgeregter Stimme „Machen wir jetzt Bescherung?“ Frau Winkelbach steht vom
Tisch auf und klatscht in die Hände. Ihre Freundin Sabine erhebt sich ebenfalls
und drückt eine Taste am schwarzen Abspielgerät. Leise ertönt ein Lied …
O Tannenbaum, o Tannenbaum,
wie grün sind deine Blätter!
Du grünst nicht nur zur Sommerszeit,
nein, auch im Winter, wenn es schneit.
O Tannenbaum, o Tannenbaum,
wie grün sind deine Blätter!
Auch Sara und Tom stehen auf. Alle fassten sich an den Händen, gehen auf den
Tannenbaum zu und singen fröhlich mit. Auch ich singe im Geiste mit und wackle
mit den Flügeln. Das Licht im Wohnzimmer geht aus und nur noch die
Beleuchtung des Tannenbaums ist an. Die Figuren auf dem Schrank werden
plötzlich lebendig. Der Schneemann tanzt mit seinem Besen in der Hand, wie
Michael Jackson. Der Weihnachtsmann springt auf seinen Schlitten und treibt
seine Rentiere an. Aus den Schornsteinen der Häuser steigt Rauch auf. Aus den
Türen treten kleine Figuren, fassen sich ebenfalls an den Händen und singen auch
leise mit. Die Gesichter der Menschen, die unter mir stehen, werden vom Licht
bestrahlt, so dass sie aussehen, als wären sie Gespenster. Sie sehen nicht, was
gerade auf dem Schrank passiert. Ich schon. Der Schlitten hebt wieder ab, dreht
seine Runde hinter den Menschen und bleibt über den Köpfen stehen. Wie in der
Nacht zuvor holt der Weihnachtsmann etwas aus dem Sack und wirft es in die
Luft. Der Glitzerstaub sinkt langsam auf die Menschen und der dicke
Weihnachtsmann dreht mit seinem Schlitten erneut seine Runde. Als der Glitzer
die vier erreicht hat, umarmen sie sich. Frau Winkelbach schaut nach oben, sieht
den Weihnachtsmann und lächelt. Leise flüstert sie: „Fröhliche Weihnachten!“
Geschenktipp
Zwei Bücher hat unser Arbeitskreis gemeinsam verfasst. diese sollten unter keinem Weihnachtsbaum fehlen.
- Abenteuerliche Anekdoten blind erlebt ist der Titel unserer neuen Anthologie, die im Oktober 2023 im Edition Paashaas Verlag als Taschenbuch und iBook auf dem Buchmarkt erschienen ist.
- „Farbenfrohe Dunkelheit“
ist der Titel unserer mittlerweile zwei mal preisgekrönten ersten BLAutor-Anthologie, die 2022 im Edition Paashaas Verlag als Taschenbuch und iBook erschienen ist und als Hörbuch produziert wurde und bei den Hörbüchereien für blinde Menschen ausgeliehen werden kann.
Auch auf diesem Weg bietet BLAutor seinen Mitgliedern die Möglichkeit, ein eigenes Werk auf dem Buchmarkt zu präsentieren.
Mit dem Kauf dieser beiden Anekdoten unterstützen sie die Arbeit unseres Arbeitskreises.
Und nun kommt noch ein Hinweis auf einen Adventskalender der besonderen Art:
Der Blindnerd-Adventskalender
Unser blindes Mitglied Gerhard ist blinder Hobbyastronom und das einzige blinde Mitglied der Deutschen Astronomischen Gesellschaft. Seit sieben Jahren führt er den Blog Blindnerd.de. In diesem Jahr widmet sich sein Adventskalender Frauen aus wissenschaft und Astronomie, denn Frauen sind in diesen Arbeitsfeldern bis heute unterrepräsentiert.
Der Blautor-Adventskalender und der Blindnerd-Adventskalender sind überkreuz verlinkt, so dass man von jedem aus zu den jeweiligen Türchen des anderen springen kann.
Mit
diesem Link gelangen Sie und ihr auf diesen etwas außergewöhnlichen Weihnachtskalender.