Fünfter Dezember

So, das ist es also, das fünfte Türchen. Viele Märchen handeln davon, dass jemand eine Feh begegnet, die einem Wünsche gewährt, die dann auch in Erfüllung gehen. Lesen wir also heute

ein Wunsch frei

von Mari-Wall

Bhavna ging an diesem Morgen ein wenig im Wald spazieren. Der Nebelhauch zeigte deutlich die Veränderung der Temperaturen an. Tief atmete sie die Morgenluft ein und träumte so vor sich hin. Fast wäre sie über einen Tannenzapfen gestolpert. „Oh, dieses Jahr fallen sie sehr früh von den Bäumen. Gibt es nun einen harten Winter oder wird er so mild wie in den letzten Jahren?“ Sie zog ihre Nase kraus und schnüffelte wie ein Hündchen. „Ist das etwa Fichtenduft?“ Mit den Füßen schob sie das bunte Laub vor sich hin. Dabei lächelte sie wie die Schulkinder, wenn sie darin tobten und ihren Spaß hatten.
Wie alle träumte sie vom Schnee. In dieser Region ist er selten geworden. Eiskristalle an den Fenstern gab es schon lange nicht mehr zu sehen. Früher war es eine Freude für die Kinder, wenn die Eisblumen die Fensterscheiben schmückten. Um hinauszuschauen durfte man erstmal kratzen, damit ein Guckloch entstand.
Auf dem Rückweg lief sie über den kleinen Markt, denn dort roch es so herrlich nach Mandelduft. Ihre Lieblingstante Manjit wollte so gerne das Rezept mit den Zimtsternen ausprobieren. Alle priesen sie an und leckten sich die Lippen bei dem bloßen Gedanken daran. Sie liebten diese Köstlichkeit und saßen gemütlich mit Kerzenlicht am Kaffeetisch. So manche Geschichte wurde dabei erzählt. Im ganzen Haus wurden die Kerzenlichter angezündet, es strahlte so eine warme Gemütlichkeit aus.
Zu bestimmten Zeiten hörte man die Kirchenglocken schlagen und gedanklich vertiefte man sich in ihren Ton. Es war eine wunderbare Zeit, besonders das Kinderlachen. Ihre strahlenden Augen verzauberten jedes Herz.
Bhavna genoss die neuen Erfahrungen und testete gleich mal die Räucherkerzen aus. Beate schenkte ihr einen Räuchermann aus dem Erzgebirge. Lachend stellte sie ihn mitten auf den Tisch, schaute dem zarten Rauch nach und sog den Duft ein. Bernd und Sudeep verzogen die Nasen, denn sie mochten dies nicht. Gunda nahm Reißaus, denn ihr tat so was nicht gut. Aber sie ertrug es tapfer, Bhavna zuliebe. Sie ist schon ein Goldschatz. Ali spielte inzwischen mit dem Nussknacker und versuchte sein Glück, die Nüsse zu knacken. Lachend nahm ihm Gunda diesen aus der Hand, denn sie ist perfekt im Nüsseknacken. Normalerweise übernahm seine Annette solche Tätigkeiten. In jedem Raum leuchtete ein Lichterbogen am Fenster, so konnten die Nachbarn sich auch daran erfreuen. Bei den hohen Strompreisen würden nicht in allen Häusern die Lichter strahlen können.
Miriam nahm auf einem Kissen vor dem schönsten Lichterbogen Platz und erzählte die Geschichte vom Krippenspiel. So konnte man gemeinsam die Spuren von Jesus nachempfinden. Die Menschen werden nie müde, sie zu hören. Manjit berichtete gemeinschaftlich mit Sudeep, wie in Indien das heilige Fest gefeiert wird. Miriam war immer begierig, neue Kulturen verstehen zu lernen. Sie bekam richtig rote Wangen, denn ihre Seele war beim Erzählen oder Zuhören mitten im Geschehen.
Beate und Bernd taten sich an den Apfelsinen gütlich. Ein fantastischer Duft erfüllte die Luft im ganzen Haus. „Früher hatten wir die Schalen wie Tannenzweige zum Trocknen auf den Ofen gelegt. Die Wohnstuben verzauberten die Sinne in den Herzen. Mit den Mandarinen wurde ähnlich verfahren. Erwischte man die Süßen, so konnte man kein Ende finden.
In Miriams Kindheit gab es in der Weihnachtszeit immer Bratäpfel. Heute werden sie in den Backofen gelegt und erzielte damit ähnliche Düfte, nur der Geschmack mochte sich nicht so ganz einstellen. Trotzdem wurden auch sie verspeist. Und manches Mal überzog man sie mit rotem Zuckerguss.
Das Nüsseknacken machte Gunda so viel Freude, dass Manjit noch einen großen Sack davon hereinbrachte. Lachend fragte Beate, „gibt es denn nichts Anderes heute?“ „Na, sei lieber nicht so vorlaut, sonst gibt es mit der Rute.“ Bhavna war ganz neugierig geworden und wollte gleich deren Bedeutung wissen. Bernd erläuterte den Brauch. „Unartige Kinder bekamen mit der Rute, damit sie im nächsten Jahr brav sind.“ „Dies hätte man bei so manchen Erwachsenen auch anwenden dürfen.“ In dieser weihnachtlichen Zeit wuchsen so manche Pfunde an den Hüften, weil kaum einer die Schokolade wegließ. Sie war so köstlich und machte süchtig. Ein Wahnsinn, was deren Konsum in der heutigen Zeit für einen Umsatz macht. Miriam lächelte und warf ein: „Bei mir können sie nichts mehr verdienen, denn ich darf nicht.“
„Würde es das Marzipan meiner Mutter Frieda noch geben, könnte ich wohl doch schwach werden. So etwas habe ich nie wieder gegessen. Ein Traum für den Gaumen, der jedoch in die Vergangenheit gehört, aber wenigstens in der Erinnerung haften bleibt. Sie war eine Zauberin beim Kochen und dementsprechend schmeckte ihr Marmorkuchen. Auch diesen Gaumenschmaus bekam ich nie hin, aber meinen Geschmacksnerven wird er immer in Erinnerung bleiben.
In der Tannenspitze hing auch immer das Engelshaar. Es war eine Tradition von ihr. Wir sangen jedes Jahr das Lied „Stille Nacht, heilige Nacht“. Nach der Bescherung zündete mein Vater Martin stets die Wunderkerzen an. Dies rundete den Heiligen Abend ab. Wenn das Lametta verschlissen war, nahmen wir rote Schleifen. In den späteren Abendstunden gab es Apfelpunsch. Mit einem himmlischen Gefühl endete das Fest und machte Platz für die Hoffnung auf das Morgen.“
„Gott, habe ich einen Wunsch frei?“
Das Abendgebet nahm einen wunderbaren Gedanken mit ins Herz: „Frieden in der Welt und in der Familie.“

Mari-Wall

Geschenktipp

Zwei Bücher hat unser Arbeitskreis gemeinsam verfasst. diese sollten unter keinem Weihnachtsbaum fehlen.

  1. Abenteuerliche Anekdoten blind erlebt ist der Titel unserer neuen Anthologie, die im Oktober 2023 im Edition Paashaas Verlag als Taschenbuch und iBook auf dem Buchmarkt erschienen ist.
  2. Farbenfrohe Dunkelheit
    ist der Titel unserer mittlerweile zwei mal preisgekrönten ersten BLAutor-Anthologie, die 2022 im Edition Paashaas Verlag als Taschenbuch und iBook erschienen ist und als Hörbuch produziert wurde und bei den Hörbüchereien für blinde Menschen ausgeliehen werden kann.

Auch auf diesem Weg bietet BLAutor seinen Mitgliedern die Möglichkeit, ein eigenes Werk auf dem Buchmarkt zu präsentieren.
Mit dem Kauf dieser beiden Anekdoten unterstützen sie die Arbeit unseres Arbeitskreises.
Und nun kommt noch ein Hinweis auf einen Adventskalender der besonderen Art:

Der Blindnerd-Adventskalender

Unser blindes Mitglied Gerhard ist blinder Hobbyastronom und das einzige blinde Mitglied der Deutschen Astronomischen Gesellschaft. Seit sieben Jahren führt er den Blog Blindnerd.de. In diesem Jahr widmet sich sein Adventskalender Frauen aus wissenschaft und Astronomie, denn Frauen sind in diesen Arbeitsfeldern bis heute unterrepräsentiert.
Der Blautor-Adventskalender und der Blindnerd-Adventskalender sind überkreuz verlinkt, so dass man von jedem aus zu den jeweiligen Türchen des anderen springen kann.
Mit
diesem Link gelangen Sie und ihr auf diesen etwas außergewöhnlichen Weihnachtskalender.