Es ist noch dunkel als ich erwache. Dennoch verlasse ich mein warmes Bett, brühe mir
einen Kaffee und kuschle mich vor dem Fenster aufs Sofa. Wie das duftet. Wenn ein Tag so
gut beginnt, kann er nur gut werden, orakle ich. Dem erwachenden Morgen zusehen, und mit
ihm gemeinsam Fahrt aufnehmen, das hat was!
Neugierig erwarte ich was er an Neuem und oder Altem bringen wird; ja, was er mir
vorschlagen und anbieten wird!
Langsam graut, nein, weißelt der Morgen. Zum ersten Mal im sich zu Ende neigenden Jahr schneit es. Alles ist von Raureif, wie mit einer Zuckerkruste, überzogen. Beste Voraussetzung für einen längeren Aufenthalt der fallenden Flocken. Sie finden sich und bilden nach und nach eine dichte Decke, sie sämtliche Farben schluckt. Unaufhörlich flüstern Schneekristalle zur Erde. Der Lichtschein einer Straßen-Laterne blitzt hin und wieder zwischen wiegenden Tannenarmen hindurch, als zwinkere es mir zu. Der Himmel zeigt sich, man kann nicht alles haben, in nahtlosem Grau.
Noch immer ist es im Haus ganz still; nur aus dem Radio erklingen leise die perlenden
Klänge Klavierklänge Chopins.
Aufkommender Wind lässt nun ebenfalls seine Akkorde erklingen. Die riesenhafte Birke im
Garten gegenüber hat sich ihrer Blätter längst noch nicht entledigt. Als
wind-musikalische Dirigentin dieser Flockenarie demonstriert sie, in weißen Winterpelz
gehüllt, ihr Können.
Die folgende Böe reißt die filigrane, vergängliche Decke auf, und lässt sie als
Schneepuzzle erneut niederrieseln.
Genießerisch gebe ich mich dieser Ruhe und Schönheit hin.
Den weiß verhangenen Wald kann ich nur ahnen.
Derart auf die beginnende Jahreszeit eingestimmt, freue ich mich auf ihre nächsten
Kompositionen.
Ein Radio-Sprecher unterbricht meine Träumerei, berichtet über die noch zu erwartenden Schneefälle und prophezeit damit verbundene Verkehrsunfälle. Ich ärgere mich über diese pyramidale Übertreibung; will dem Traum-Dieb nicht länger zuhören, will das berauschende Gefühl des erwachenden Tages zurück!
(c) Karin Klasen / Wirscheid
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